Heute soll es hier einmal um den Vergleich zwischen den Bergen Sinai und Olymp gehen. Der eine Gott gegen die vielen Götter. Interessant ist nämlich, dass dem biblischen Gott gerne als zivilisatorischer Sprung zugesprochen wird, dass er dialogbereit war. Dass die Menschen mit ihm handeln, streiten und diskutieren konnten. Was nun aber in der Bibel steht, spricht nicht unbedingt für eine ausgeprägte Debattenkultur, die da etabliert wurde. Gott diktiert die Zehn Gebote, er diktiert seine Regeln und er droht mit Strafen, wenn man sich gegen ihn stellt.
Er scheint viel zu unsicher zu sein, als dass er wirklich Lust auf Diskussionen haben könnte. Er hat ja ständig Angst, dass ihn dieses eine Volk, auf das er ein besonderes Auge geworfen hat, verlässt, vergisst und verhöhnt. Man kann kein Interesse an wilden Diskussionen haben, wenn man eine so unsichere Gottheit ist. Auch autoritäre Eltern verhindern jede Streitkultur. Widerworte durch die Kinder sind da schon ein heroischer Akt, das gilt auch für die Protagonisten der Bibel.
Ganz anders wiederum ging es in der griechischen Sagenwelt zu. Da gab es regelrechte Konferenzen zwischen Menschen und Göttern, auf denen verhandelt wurde. Die Menschen hatten dabei etwas anzubieten (z.B. die Bereitschaft, diesen oder jenen Gott zu verehren) und die Götter hatten etwas, was sie wollten (z.B. diese Verehrung). Das kommt einem Verhältnis auf Augenhöhe, die ja Voraussetzung für jedwede Streitkultur ist, schon näher als ein strenger Gott, der einem erklärt, dass er einen geschaffen hat und man ihm dafür gefälligst ewig dankbar zu sein habe.
Insgesamt ist also eine starke Abnahme der Diskussionsbereitschaft zu erkennen, seitdem der Bibel-Gott das Ruder übernommen hat. Die wenigen dürren Beispiele, in denen tatsächlich ein Handeln mit ihm möglich war, etwa wenn Abraham mit schlotternden Knien um das Leben der Einwohner von Sodom feilscht, belegen nur, wie sehr das vom normalen Umgang der Menschen mit Gott abwich.
Bei den griechischen Helden gehörte es hingegen zum guten Ton, mit den Göttern zu handeln, feilschen, streiten und vor allem, sie auszutricksen. Dafür wurden Bündnisse mit anderen Göttern geschlossen, um einem gemeinsamen Feind aus dem Olymp eins auszuwischen – auch wenn sich diese Konfrontationen auf lange Sicht fast nie als besonders gesund für den jeweiligen Sterblichen herausstellten. Das zeugt von einem ganz anderen Selbstbewusstsein, als bei dem verängstigten Personal der Bibel. Was bis zu einem gewissen Punkt aber auch verständlich ist.
Schließlich bestand bei den Griechen durch die große Zahl an Göttern, die sich auch als Rivalen gegenüberstanden, ein Gleichgewicht des Schreckens, während man es beim Bibel-Gott mit einem Alleinherrscher zu tun hat. Wer ihn gegen sich hat, hat verloren. Es gibt niemanden, der ihm irgendwie Paroli bieten könnte, keine Koalitionen können geschmiedet, kein Schutz erwartet werden. Unter diesen Bedingungen wäre Prometheus vielleicht auch weniger forsch aufgetreten, das kann gut sein. Man erlaubt sich als Einzelner in liberalen Demokratien ja auch mehr als in autoritären Staaten.
Fest steht aber eindeutig, dass die Griechen die besseren Autoren hatten. Ihre Geschichten sprudeln über von Liebe, Hass, Intrigen, Seitensprüngen und persönlichen Dramen. Das Schicksal wirft die Figuren hin und her. Bündnisse werden geschmiedet und gebrochen, Götter, Menschen, Halbgötter, Titanen und Ungeheuer ringen miteinander. Im Vergleich zur komplexen Sagenwelt der Griechen wirkt sogar die Welt von Game of Thrones fad und eindimensional. Die Bibel hingegen hat durch die Einschränkung, dass ein unbesiegbarer Gott im Mittelpunkt zu stehen hat und alle anderen Protagonisten vor allem in ihrem Verhältnis zu ihm porträtiert werden, einen dramaturgischen Klumpfuß.
Das macht die Geschichten ein wenig langweilig, zumal dieser eine Gott nun auch nicht so vielschichtig daherkommt. Unfehlbare Charaktere sind eigentlich immer langweilig und gegen einen allwissenden Gott lassen sich nur schwer Intrigen spinnen. Was der Bibel auch nicht gut tut, ist der moralische Zeigefinger. Ständig wird gedroht, gestraft und verurteilt, wenn nicht auf Gott gehört wird. Gehorsam hingegen wird als höchste Tugend angesehen. Auf die Spitze getrieben wird das, als Gott von Abraham verlangt, seinen Sohn Isaak zu opfern. Im letzten Moment, als an der fanatischen Loyalität Abrahams kein Zweifel mehr bestehen kann, verzichtete Gott schließlich auf die tatsächliche Durchführung. Er hatte schon bekommen, was er wollte, alles andere wäre nur noch eine mechanische Armbewegung gewesen, auf die kam es ihm aber nicht an.
In der griechischen Version dieser Geschichte hätte Abraham das Messer entweder direkt gegen diesen Gott erhoben oder er hätte ihm danach in Koalition mit anderen Olymp-Bewohnern eine Falle gestellt oder sich sonst wie gerächt. (Vermutlich wäre es darauf hinausgelaufen, dass dieser „töte Isaak“-Gott irgendwann ohne es zu ahnen seine eigenen Kinder verspeist hätte. Der griechische Klassiker halt.) Aber gerächt hätte er sich auf jeden Fall. Man muss sich ja nicht alles gefallen lassen.
Fazit: Die griechischen Helden zeigen mehr Zivilcourage, sind aber auch leichtsinniger und fangen oft ohne Not Streit an, der schnell zu Weltenkriegen (Himmel, Erde, Unterwelt) eskaliert. Am Ende werden sie dann mit grausamen Strafen belegt, die aber die anderen Helden nicht davon abhalten, wieder für eine kurze Liebesaffäre mächtige Götter zu reizen. Es sind mutige Abenteurer, die nicht auf die Idee kommen, sich einem Gott aus der langweiligen Tatsache heraus unterzuordnen, dass er ein Gott ist. Nicht selten ist sogar eben diese Tatsache genau der Grund, der sie motiviert, einen Streit anzufangen. Sie legen sich lieber mit Stärkeren an, als mit Schwächeren.
Das biblische Personal hingegen lebt in ständiger Angst vor diesem einen Gott, was seine Abenteuerlust erheblich reduziert. Zumal dieser Gott kein Freund von Alleingängen ist. Wenn er zu frustriert ist, kann er auch in seiner Wut die ganze Welt vernichten. Leider gibt es niemanden, der ihn aufhalten könnte. Das sind keine guten Voraussetzungen, um wahre Heldenfiguren hervorzubringen, die einem Gott kühn die Stirn bieten.
Von daher schlagen die alten Griechen die alten Israeliten haushoch, was den Unterhaltungsfaktor ihrer Götterwelt betrifft.
(PS: Das Neue Testament wurde ausgelassen, weil es die entgrenzte Perspektive größtenteils verloren hat und mehr wie ein früher Regionalroman daherkommt. Das macht es schwer vergleichbar mit den anderen Geschichten.)